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„Hans Staden trifft Maria Rosa“
Werke von José De Quadros im Regionalmuseum Wolfhagen

Einführung zur Ausstellungseröffnung am 28.06.05

Meine Damen und Herren,

auch ich begrüße Sie herzlich und freue mich, dass Sie heute zur Ausstellungseröffnung gekommen sind.

1555, vor genau 450 Jahren, kehrte der Kanonier, Abenteurer und Söldner Hans Staden von seinen beiden Reisen nach Südamerika zurück in sein Heimatland Hessen. Er baute, wie sie alle wissen, eine neue Existenz in Wolfhagen auf und verfasste den ersten deutschsprachigen Bericht über das von den Portugiesen eroberte, Brasilien genannte Land, die – so der lange, ausführliche Buchtitel – „Wahrhaftige Historia und Beschreibung einer Landschaft der wilden, nackten und grimmigen Menschenfresser, die in der Neuen Welt Amerika gelegen, vor und nach Christi Geburt im Lande Hessen unbekannt bis auf die beiden letztvergangenen Jahre, da Hans Staden aus Homberg in Hessen sie aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat und jetzt durch den Druck bekannt macht“. (1556) Das Staden-Jubiläum ist willkommener Anlass, unser Wissen über das Thema zu erweitern. Auf der kommenden kleinen Tagung werden Referenten verschiedener Disziplinen ihre Sicht auf den Südamerikareisenden des 16. Jahrhunderts präsentieren und die Ausstellung, die wir heute eröffnen, stellt für einige Wochen der Stadenabteilung im hiesigen Museum eine aktuelle künstlerische Auseinandersetzung mit der ‚Warhaftigen Historia’ zur Seite.

„Hans Staden trifft Maria Rosa“ nennt José De Quadros seinen Bilderzyklus. Der Maler ist in Barretos geboren und hat an der Gesamthochschule Kassel Kunst studiert. Dass De Quadros sich als gebürtiger Brasilianer und in Nordhessen wohnender Künstler mit Hans Staden auseinander setzt, wird jedem Wolfhager einleuchten. Doch wer ist die genannte Maria Rosa?
Maria Rosa ist ein Gesicht auf einem brasilianischen Pressefoto von 1985, das die damals schon über hundert Jahre alte Frau als „Letzte der Oti-Xavantes“ (so die Abbildungsunterschrift), einem der vielen von der Erde verschwundenen indigenen Völker Brasiliens, vorstellt. Ihre Vorfahren sind jene in der sogenannten ‚Neuen Welt’ lebenden Menschen über die Hans Staden in seiner ‚Warhaftigen Historia’ berichtet. So inszeniert José De Quadros ein imaginäres Treffen von Figuren aus unterschiedlichen Zeiten und Räumen. Er thematisiert damit 450 Jahre ungleicher Beziehungen zwischen europäischen Kolonisatoren und den indigenen Völkern, er zeigt sein Erschrecken über die weitreichende Zerstörung der indianischen Kulturen Brasiliens.

Wie nun begegnen sich Hans Staden und Maria Rosa in den Kunstwerken des 21. Jahrhunderts?
Ich denke, der Künstler visualisiert das Machtgefälle zwischen beiden Menschen, zwischen beiden Kulturen in seinen Bildern gerade mit der Sichtbarmachung von Raum und Zeit. Hans Staden repräsentiert etwa über sein offizielles Porträt, die Holzschnitte aus seinen Reiseberichten, oder über zeitgenössische Stadtansichten seiner Wohnorte als anerkanntes Mitglied der europäischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts: für uns heute eine Person der Geschichte. Dagegen sehen wir von Maria Rosa nur das Gesicht, nahegerückt, fast ausschnitthaft, zeitlos, ortlos. Allein die Mimik der Frau vermag uns Hinweise auf ihre Persönlichkeit zu geben – und eben diese scheint - durch Übermalungen des Künstlers - von Gemälde zu Gemälde zu wechseln, ist also alles andere als authentisch!

Wie gesagt, nimmt José De Quadros gedruckte, also veröffentlichte Bilder zum Ausgangspunkt seiner Arbeiten: die Fotografie aus der brasilianischen Zeitung und die Holzschnitte aus Stadens Buch von 1557. Der Künstler kopiert diese Fundstücke detailgenau auf große Bildformate und bearbeitet sie weiter, indem er immer wieder neue Malschichten übereinander legt: Vokabeln aus verschiedenen Tupi-Sprachen – die Hans Staden übrigens teilweise verstehen konnte –, oder Computer-Tomographien des menschlichen Kopfes... Diese unterschiedlichsten Informationen überlappen und verdecken einander, sie kommunizieren auf der Leinwand, kommentieren oder konterkarieren sich jeweils.
Dominant für den ersten Bildeindruck sind aber die großflächigen Übermalungen: Die Übernahmen aus der Geschichte werden zuweilen von weißlichen Schleiern nebelartig verhüllt, so dass sie nur noch schemenhaft erkennbar sind, die darüber gelegten Elemente der Moderne stechen umso deutlicher hervor. Manchmal erscheint der Farbauftrag fast dreidimensional, wie eine körperlich spürbare Grenze, die uns den Blick versperrt.

Das Netz von Botschaften, das der Maler für uns komponiert ist damit alles andere als eindeutig, es ist vielstimmig, es ist fragmentarisch - nun, eigentlich genauso, wie wir es von der Unzahl an Informationen gewohnt sind, die am Arbeitsplatz, im Supermarkt oder in den Fernsehnachrichten auf uns einstürzen...
Doch: Würden wir alle Hinweise auf den Bildern des Künstlers identifizieren und zuordnen können, hätten wir dann ein klares, eindeutiges ‚Bild’ von den Zusammenhängen? Nützt uns zum Beispiel die Übersetzung der Tupi-Wörter zum Verständnis? Zum Verständnis wessen? Der Kunst, des Künstlers, Brasiliens, Hans Stadens oder Maria Rosas?

José De Quadros gibt mit seinen Zeichen-Schichtungen mannigfaltige Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Schauen, Erkennen und Begreifen, auch auf das Befremden oder Nichtverstehen und das Neugierigsein und Nachforschen... Der Maler macht uns mit seinen Collagen die Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesse bewusst, die Grundlage unseres kulturellen Selbstverständnisses sind. Er zeigt das Fragmentarische, Facettenreiche der bekannten und unbekannten Informationen, denen wir täglich begegnen und die wir versuchen in einen Sinnzusammenhang zu bringen, um uns ‚ein Bild zu machen’, etwas ‚in Worte zu fassen’. Eindeutigkeit ist in der heutigen Bilderflut, in der eher von den Medien vermittelten denn selbst gelebten, authentischen Erfahrung nicht mehr so leicht zu haben.

Der Bilderzyklus von José De Quadros geht so über die imaginäre Begegnung zwischen Maria Rosa und Hans Staden weit hinaus, indem er unsere, das heißt die Erfahrungswelt der Betrachter mit in seine Kunst einfügt und führt damit aber doch auch wieder auf diese beiden Protagonisten zurück.
Die Gemälde lassen uns nachvollziehen, wie wir uns von unserer Umwelt ‚ein Bild machen’ und thematisieren zugleich dessen öffentliche, mediale Aufbereitung, also das ‚Anderen ein Bild geben’. Das Pressefoto Maria Rosas ist ebenso ein Medienereignis wie die erstaunlichen Berichte und vor allem die zahlreichen Holzschnitte, mit denen Hans Staden seinen Zeitgenossen sein Bild von der neuen Welt vermittelt.
Die Ausschnitte von Stadens Beobachtungen der Indianer-Stämme, auf José De Quadros Gemälden, die erwähnten Stadtansichten und der Lexikoneintrag können als Beispiele historischer wissenschaftlicher Vermittlung gelesen werden. Sie werden überschrieben von moderner wissenschaftlicher Wirklichkeit: von Computer-Tomografien eines Schädels und Vokabeln aus der Tupi-Sprache in Maschinenschrift. Alle diese scheinbar objektiven Dokumentationen werden so in ihren subjektiven Ursprüngen kenntlich gemacht, indem ihnen gewissermaßen auf den Grund gegangen wird, freilich ohne dass dadurch die Einzelinformation ‚wahrer’, buchstäblich ‚verständlicher’ oder ‚durchleuchtet’ würde.

Schon die Stadenabteilung hier im Regionalmuseum Wolfhagen macht mit der Inszenierung der Schreibstube - in der Kindergruppen gern sitzen, um sich Stadens Geschichte erzählen zu lassen - darauf aufmerksam, dass hier ein Autor seine subjektiven Erfahrungen, eben seine Sicht der Dinge zu Papier bringt. José De Quadros kennzeichnet das Persönliche seines – heutigen – Zugangs ebenso: Es sind Computer-Tomografien seines eigenen Kopfes, die er auf die Bilder appliziert. (... Und da ist noch das aus der Zeitung kopierte Porträt Maria Rosas, aus dem er verschiedene Gefühle herausgearbeitet hat...)

Unseren Augen zu trauen reicht also nicht, der Kopf, das Denken ist beteiligt, um aus dem optischen Sinneseindruck einen Sinnzusammenhang zu konstruieren.
Auf die Bedeutung der Kopfarbeit beim Begreifen der Welt weisen mannigfaltige Elemente in De Quadros’ Arbeiten hin.
Die Gemälde fordern uns auf, innezuhalten und uns in Ruhe auf sie einzulassen. Wir sollen mit den Augen in ihnen spazieren gehen, immer wieder, mit Verstand und mit Gefühl. Wir können dann Zeichen und Bildfragmente entschlüsseln und sie mit unseren subjektiven Erfahrungen zu Sinnzusammenhängen zusammensetzen, denn die Bilder entstehen nur zum Teil in Hans Stadens Schreibzimmer, oder in José De Quadros’ Atelier: verstanden und in einmaliger Weise verarbeitet werden sie in unserem Kopf. Und sie entstehen in jedem unserer Köpfe anders.

Ich möchte sie jetzt zu ihrer eigenen Entdeckungsreise mit den Bildern entlassen und darauf hinweisen, dass wir heute Abend die Gelegenheit nutzen können, mit dem Künstler vor seinen Gemälden ins Gespräch zu kommen. Vielen Dank.

Ulla Merle, Ockershäuser Allee 6, 35037 Marburg.

© 2013 José De Quadros |
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